4 Fragen an Elena Pocecco
„Die Rückmeldungen begeisterter Teilnehmer*innen stärken mich in meiner Arbeit, in der ich einen klaren sozialen Auftrag erkennen kann.“
Elena Pocecco unterrichtet in der Volkshochschule Innsbruck Kurse zu den Themen Selbstschutz, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung. Sie ist Sportwissenschaftlerin und hat in den letzten fast 15 Jahren eine große Leidenschaft für diese Thematik entwickelt. Im Interview erzählt sie uns von einem besonderen Erlebnis, das ihr in Erinnerung geblieben ist und was sich Teilnehmer*innen von ihren Kursen erwarten können.
Wie kann man sich deine Kurse zu den Themen Selbstschutz, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung vorstellen?
Meine Kurse sind ein Mix aus Theorie und Praxis, aus Selbstverteidigungstechniken sowie aus Rollenspielen und Informationen bzw. Tipps für die Teilnehmer*innen. Der didaktische Ansatz passt sich natürlich an die Gruppe, die ich vor mir habe, an. Durch das Erlernen sehr einfacher, dennoch hocheffektiver Techniken kommen die Teilnehmenden meistens zur Erkenntnis, dass es aus jeder Situation einen Ausweg gibt. Während meiner langjährigen Erfahrung konnte ich eine Palette an extrem effizienten Techniken zusammenstellen, die aus ganz vielen unterschiedlichen Situationen heraushelfen, dennoch alle auf wenige Prinzipien basieren, die man sich leicht merken kann. Wer möchte, darf Erfahrungen von sich bzw. von Bekannten schildern, so dass mögliche Lösungen besprochen bzw. geeignete Vorgänge und Techniken geübt werden können. Sollte man eines Tages in Bedrängnis kommen, hat man aus dem Kurs möglicherweise ein geeignetes Werkzeug mitgenommen, um sich oder andere verteidigen zu können. Allein das Bewusstsein, dass man sich im Notfall körperlich und verbal wehren kann, stärkt übrigens Selbstvertrauen und Selbstsicherheitsgefühl der Kurs-Teilnehmenden und das wird ausgestrahlt. Aus diesem Grund hat man eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, gar nicht zum Opfer zu fallen.
Wann sollte ein Mädchen idealerweise den ersten Kurs dieser Art besuchen und empfiehlst du so etwas auch Jungen?
Ich habe die untere Altersgrenze auf 8 Jahre gelegt, da sich Kinder ab diesem Alter im Durchschnitt auch über längere Zeit relativ gut konzentrieren können. Meines Erachtens ist es fast nie zu früh und bestimmt nie zu spät, sich mit den Themen der Selbstverteidigung und Grenzen-Setzung auseinanderzusetzen. Mittlerweile gebe ich in der Volkshochschule keine Mädchen- sondern Kinder-Kurse, da Gewalt, Mobbing, usw. beide Geschlechter betreffen. Auch Männer bleiben natürlich von Gewalt nicht verschont, allerdings sind die Situationen, in denen Frauen und Männer verwickelt sind, oft unterschiedlich.
Sollte man einen Selbstverteidigungskurs regelmäßig auffrischen?
Laut meiner Erfahrung ja. Derzeit sind mir keine Studien bekannt, die untersucht haben, wie lange positive Auswirkungen von Selbstverteidigungskursen anhalten. Das ist bestimmt individuell und es gibt viele Faktoren, die das beeinflussen können.
Du unterrichtest bereits seit 2008 in der Volkshochschule. Gibt es ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ein Kurs ist mir besonders positiv in Erinnerung geblieben. Vor dem Kurs hatte eine Mutter erwähnt, dass es evtl. Schwierigkeiten bei ihrer Tochter geben könnte. Im Kurs war es auffällig, dass das Mädchen sehr schüchtern war, sie hat allerdings bei allen Übungen fleißig mitgemacht – außer beim Schreien, das konnte sie einfach nicht. Sie hat kaum einen Ton rausgekriegt, aber alle im Kurs haben das so akzeptiert. Eine Übung ist ihr dann dafür besonders gut gelungen, so dass ich ihr angeboten habe, sie vor der Gruppe vorzuzeigen. Dies hat sie gerne und gut gemacht, dafür mein Lob und die Anerkennung der Gleichaltrigen bekommen. Nach dem Kurs kam die Mutter auf mich zu und sagte, ihre Tochter sei nach dem Kurs komplett ausgewechselt. Vor Kursbeginn hatte sie sich gegen die Teilnahme entschlossen und in der Garderobe geweint. Durch viel Überzeugungsarbeit konnte sie dann mit Mühe doch noch überredet werden. Nach dem Kurs ist sie schlussendlich der Mutter in die Arme gesprungen und hat ihr begeistert davon erzählt. Seit diesem Tag durfte ich sie wiederholt, sowohl mit ihrer kleinen Schwester als auch allein, in meinen Kursen begrüßen. Jedes Kind und jeder Mensch ist anders, dennoch zeigt so eine Erfahrung, wie viel Selbstvertrauen der Besuch eines solchen Kurses geben kann. Dies konnte ich übrigens auch mittels einer wissenschaftlichen Studie beweisen. Die Daten meines Pilotprojekts (noch nicht publiziert) zeigen, dass nach einem 2-tägigen Kurs zur Selbstverteidigung und Selbstbehauptung die Teilnehmerinnen ein höheres Selbstvertrauen sowie Selbstsicherheitsgefühl sowohl in Situationen körperlicher als auch psychischer Gewalt im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigen. Das geschilderte Erlebnis, die ersten Ergebnisse meiner Studie, aber auch die Motivation sowie die Rückmeldungen begeisterter Teilnehmer*innen stärken mich in meiner Arbeit, in der ich einen klaren sozialen Auftrag erkennen kann.
